Bilderbücher ohne Text – Teil 2

Im vorherigen Beitrag habe ich euch ja schon einige ‚einfachere‘ Bilderbücher ohne Text vorgestellt. Heute soll es daher um Bilderbücher gehen, die auf der Bildebene noch etwas mehr bieten und dadurch nicht nur eine oder zwei Handlungen erzählen, sondern viele Handlungen parallel. Dadurch sind die Anforderungen an die Kinder (und Erwachsenen ebenso) beim Betrachten der Bilder durchaus höher, denn es gibt auch beim wiederholten Betrachten immer wieder Neues zu entdecken. Umso mehr Potenzial bieten diese Bilderbücher aber auch für die Sprachförderung, das kreative Schreiben und für die Differenzierung.

Hieronymus

Eines meiner ersten Bilderbücher, die ganz ohne Text sind, war Hieronymus von Thé Tjong-Khing. Zu dem Zeitpunkt, als ich das Bilderbuch in einem Seminar kennengelernt habe, war diese Art des Bilderbuches für mich noch etwas ganz Neues – und dann lerne ich textlose Bilderbücher gleich mit einem solchen Meisterstück kennen. Denn: In seinen Bilderbüchern wird nicht nur eine einzelne Geschichte erzählt, sondern gleich ganz viele unterschiedliche, die oftmals nicht einmal direkt zusammenhängen (zumindest auf den ersten Blick!). Diese Bilderbücher benötigen viel Zeit, um sich mit ihnen auseinanderzusetzen und die Bilder zu entschlüsseln. Aber umso mehr Potenzial bieten sie letztendlich.

In diesem Bilderbuch gelangt ein Junge beim Spielen mit seinem Hund durch einen Unfall in einer fantastischen Welt – genauer gesagt in der Fantasiewelt des Hieronymus Bosch. Denn: viele Wesen, Naturlandschaften und Szenen in diesem Bilderbuch orientieren sich an den Kunstwerken des Malers. Das Bilderbuch begleitet den Jungen auf seinem Abenteuer durch diese Welt – und immer wieder hilft er anderen Wesen. Doch dann gerät er in die Fänge einer bösen Echse/Hexe, die gerne Kinder frisst. Ob sie wohl wieder entkommen?

Das Geniale an diesem Bilderbuch ist nicht nur, dass mehrere Geschichten parallel erzählt werden, sondern auch, dass viele Sachverhalte, die auf den Bildern zu Beginn angedeutet werden und einen eher ratlos zurücklassen, erst im Laufe der Geschichte, beim Zurück- und Weiterblättern aufgeklärt werden. Zunächst kann man sich voll auf die Geschichte des Jungen fokussieren – um sich dann Stück für Stück den vielen anderen Nebenhandlungen anzunehmen. Hierbei hilft auch der Richtungswechsel im Bilderbuch – zunächst geht es auf der Suche nach den vermissten Kindern in die eine Richtung, danach (auf der Flucht) geht es wieder zurück – und Szenen, die zuvor erst angefangen haben, werden hier durch die zeitliche Distanz weitererzählt.

Illustrator: Thé Tjong-Khing – Herausgeber: Moritz Verlag – Erscheinungsjahr: 2016 – Buchlänge: 48 Seiten – meine Altersempfehlung: ab 5/6 Jahren – Preis: 14,95 € – ISBN: 978-3895653216 – Hier kaufen


Torten-Reihe

Ebenfalls eine sehr bekannte Reihe von Thé Tjong-Khing sind die Torten-Bücher. Die Torte ist weg, der erste Teil der Reihe, ist wohl das bekannteste Bilderbuch überhaupt, wenn es um diese Art von (textloser) Erzählung geht. Es erzählt im Vordergrund die Geschichte von Herr und Frau Hund, denen die Torte geklaut wird. Wir verfolgen sie durch das ganze Buch hindurch auf der Jagd nach der Torte – und bekommen nebenbei noch viele weitere Nebenhandlungen mit, die früher oder später auch mit der Haupthandlung verschmilzen.

Diese Art von Buch und Erzählung bietet den Vorteil, dass sich im Hinblick auf das freie Erzählen und kreative Schreiben hervorragend differenzieren lässt. Die einen Kinder erzählen vielleicht nur eine der Handlungen, die anderen schreiben eine Geschichte mit mehreren Handlungssträngen. Durch die tierischen Protagonisten fällt es hier auch schon kleineren Kindern leicht, diese zu benennen – bei Hieronymus sind doch zum Großteil eher fantastische Wesen enthalten. Auch der Lebensweltbezug ist hier größer als bei Hieronymus – daher definitiv ein gutes Einstiegsbuch, wenn es um etwas komplexere textlose Bilderbücher geht. Meine ausführliche Rezension zum Bilderbuch findet ihr übrigens hier.

Illustrator: Thé Tjong-Khing – Herausgeber: Moritz Verlag – Erscheinungsjahr: 2006 – Buchlänge: 32 Seiten – meine Altersempfehlung: ab 3 Jahren – Preis: 13,95 € – ISBN: 978-3895651731 – Hier kaufen


Neben Die Torte ist weg sind noch drei weitere Bilderbücher nach diesem Schema beim Moritz Verlag erschienen: Picknick mit Torte, Geburtstag mit Torte und Kunst mit Torte. Da Picknick mit Torte und Geburtstag mit Torte dem ersten Bilderbuch sehr ähnlich sind, stelle ich hier nur Kunst mit Torte vor – ihr könnt euch die beide anderen Bücher aber beispielsweise auf der Website vom Moritz Verlag genauer anschauen.

Im Bilderbuch Kunst mit Torte gibt es eine Rahmenhandlung, in die eine weitere Handlung eingebettet ist – diese zweite Handlung ist rein fiktiv, macht aber den Großteil des Buches aus. Es handelt sich bei der eingebetteten Handlung um einen Traum von Frau Hund (bekannt aus den anderen Torte-Büchern). Sie beschäftigt sich intensiv mit Kunst und hat scheinbar alle möglichen Bücher über bekannte Künstler*innen und Kunstwerke gelesen. Dabei ist sie auf ihrem Sessel eingeschlafen und in einen Traum abgedriftet, der das Gelesene und Gesehene verarbeitet.

Im Traum wird ein Kunstwerk aus der Galerie gestohlen – und erneut beginnt eine wilde Verfolgungsjagd. Anders ist hier, dass die meisten Protagonist*innen (alle möglichen Tiere) bereits vor dem Diebstahl mit Herrn und Frau Hund zusammen sind und direkt alle an der Verfolgungsjagd beteiligt sind. Das heißt natürlich nicht, dass es auch hier nicht andere Nebenhandlungsstränge gibt. Denn auch wenn alle Tiere mitrennen, so verfolgen sie vereinzelt doch andere Interessen. Am Ende finden sich auf jeden Fall alle Tiere außerhalb des Traums auf einer kleinen privaten Vernissage bei Frau Hund wieder.

Vom Bildstil ist das Bilderbuch auch ein bisschen anders als Die Torte ist weg. Wie schon bei Hieronymus orientiert sich Tjong-Khing an bekannten Künster*innen und deren Kunstwerken. Dadurch entstehen Landschaften, die an Van Goghs Weizenfelder erinnern, surrealistische Motive wie die von Salvador Dalí, Skulpturen wie von Henry Moore und hohe Wellen wie auf den Gemälden von Katsushika Hokusai. Gäbe es vorne und hinten im Buch keine Übersicht mit den Originalkunstwerken und deren Urheber*innen, so hätte ich diese Verbindungen natürlich nicht ziehen können (zumindest bei einem Großteil der Künstler*innen). Auf jeden Fall wird direkt klar, dass es sich um ganz vielfältige Kunststile handelt. Dadurch verschiebt sich der Blick immer wieder weg von der Meute der Protagonisten und hin zu den anderen Details, Figuren, Landschaften und Geschehnissen.

Ihr seht schon – auch dieses Bilderbuch bietet sehr viel. Dadurch, dass die Tiere zum Großteil in einem Pulk zusammen sind, sind die einzelnen Handlungen nicht über die ganzen Bilder hinweg verstreut und es wirkt auf den ersten Blick nicht so wimmelbildartig wie im ersten Band. Dennoch gibt es durch die unterschiedlichen Kunststile und Kunstwerke, die sich in den Bildern verstecken, viel zu entdecken. Dieses Bilderbuch eignet sich dadurch natürlich nicht nur zum Erzählen und kreativen Schreiben, sondern auch für den Kunstunterricht.

Illustrator: Thé Tjong-Khing – Herausgeber: Moritz Verlag – Erscheinungsjahr: 2017 – Buchlänge: 32 Seiten – Altersempfehlung: ab 4 Jahren – Preis: 13,95 € – ISBN: 978-3895653339 – Hier kaufen


Spaziergang mit Hund

Ein weiterer Favorit aus meiner Sammlung ist Spaziergang mit Hund vom Pettersson & Findus Autor Sven Nordqvist. Dieses großformatige Bilderbuch beginnt ebenfalls in der ‚realen‘ Welt – mit einem alltäglichen, aber doch auch abenteuerlichen Spaziergang eines Jungen mit einem Hund. Welches Kind kennt es nicht – das erste Mal ein bisschen Verantwortung bekommen, beispielsweise alleine zur Bäckerei um die Ecke gehen. Zwar ist alles schon bekannt, aber doch ist es viel aufregender so ganz allein. Und so kann man sich auch super in eine kleine Fantasiewelt mit Abenteuern und fantastischen Wesen begeben.

Wie auch schon bei den Bilderbüchern von Thé Tjong-Khing sind auch hier die Szenen wimmelbildartig aufgebaut – tatsächlich sogar noch wimmeliger und wuseliger. Durch die sehr, sehr vielen Details erfordert das Betrachten dieses Werkes schon einiges an visueller Kompetenz, bietet dafür im Gegenzug aber auch so viel. Ob die Benennung von alltäglichen Objekten, Tieren, Personen oder Szenen, die Erfindung von Namen für Fantasiewesen, die Beschreibung von Wesen oder einzelnen Szenen oder aber die Erzählung von kleinen bis längeren Geschichten – hier ist einfach für jedes Alter, jedes Sprachniveau und jede Klassenstufe etwas dabei.

Einen wesentlichen Unterschied zu den Büchern oben – wie auch zu den Büchern, die ich bereits im ersten Beitrag vorgestellt habe – gibt es aber doch. Denn hier gibt es nicht wirklich eine Haupthandlung (bis auf das Spazierengehen) und damit auch keinen Spannungsbogen. Die einzelnen Szenen und Figuren tauchen jeweils nur einmal auf und auch der Junge und sein Hund erleben kein wirkliches Abenteuer innerhalb der Fantasiewelt. Aber: Da können sich die Kinder ja zu einer Szene auch selber eine spannende Geschichte überlegen und diese vielleicht sogar schriftlich oder bildlich festhalten.

Illustrator: Sven Nordqvist – Herausgeber: Oetinger Verlag – Erscheinungsjahr: 2019 – Buchlänge: 32 Seiten – Altersempfehlung: ab 4 Jahren – Preis: 20 € – ISBN: 978-3789110603 – Hier kaufen

Meine vorherige Rezension zum Bilderbuch findet ihr hier.


Dieser Beitrag enthält Werbung aus Liebe zu Büchern.

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